Was hat Fukushima mit uns zu tun?

Die Folgen eines Super-Gaus - und was sie für uns bedeuten 


Kinder, die nicht mehr draußen spielen dürfen, Kühe, die im Stall verhungern: die Atomkatastrophe in Fukushima fordert Menschen auf der ganzen Welt zum Umdenken auf. Das Buch "Fukushima lässt grüßen" von Susan Boos wirft Schlaglichter auf die Fragen: Was tun? Welcher Widerstand kann etwas bewirken?

 

Am 11. März 2011 wird die Welt Zeuge der fürchterlichen Nuklearkatastrophe von Fukushima. In gleich drei Reaktoren kommt es in Fukushima zur Kern- schmelze. Was wäre, wenn ein solches Unglück hier bei uns geschehen würde? Wer würde evakuiert? Wohin? Wer setzt für die Rettung anderer sein Leben ein? Wer übernimmt die Haftung? Seit Fukushima braucht es keine Fantasie mehr, um sich vorzustellen, was ein Atom-GAU (größter anzunehmender Unfall) in unmittelbarer Nähe mit unserer eigenen Welt anrichten würde. »Man muss nur hinschauen«, sagt die Schweizer Journalistin und Autorin Susan Boos.

 

Das Drama nimmt kein Ende


In ihrer investigativen Reportage »Fukushima lässt grüßen« tut die Redakteurin der Züricher Wochenzeitung WoZ genau das: hinsehen und nachfragen. Boos, die sich seit mehr als 20 Jahren mit Atom- und Energiepolitik beschäftigt, fuhr in die verseuchten Gebiete und recherchierte. Hartnäckig. Gründlich. Mutig. Boos versucht nachzuzeichnen, wie man mitten in Europa mit einer großen Nuklearkatastrophe umzugehen gedenkt. Wie wäre es, wenn man alles zurücklassen muss und nicht mehr nach Hause darf? Wenn die Kühe im Stall verhungern, weil keiner mehr da ist, der sie füttert? Was wäre, wenn es im schweizerischen Beznau, nahe der deutschen Grenze, zu einem ähnlichen Nuklearunfall käme? Was wäre, wenn ganz Zürich und auch das süddeutsche Waldshut evakuiert werden müssten? Boos' Recherchen machen dabei nicht nur die Ohnmacht der Behörden deutlich, sondern gewähren da- rüber hinaus einen Einblick in die Notfallpläne für einen GAU an der deutsch-schweizerischen Grenze.

 

Auf zwei Japanreisen spricht die Journalistin mit Repräsentanten der Anti-AKW-Bewegung und Vertretern des Energiekonzerns Tepco, mit Behörden und mit Wissenschaftlern, aber auch mit Menschen, die aus den kontaminierten Gebieten vertrieben wurden. »Diese schrecklichen Bilder von Fukushima, sie erinnern böse an Tschernobyl«, schreibt Boos in jenen Tagen in einen Artikel. »Und das Drama nimmt kein Ende.«


Inoffiziell wird die Redakteurin in die Sperrzone von Fukushima mitgenommen – »ein Paralleluniversum«, wie sie schreibt. Der Guide erzählt, dass sie nach dem Tsunami nicht nach Überleben- den suchen konnten, weil das Gebiet kontaminiert war und sie weg mussten. Es belaste ihn sehr, dass vermutlich Bekannte und Freunde – die nach dem Tsunami unter den Trümmern lagen und noch lebten – hätten gerettet werden können.

 

Es sind Menschen, die tatkräftig auf die Katastrophe in ihrem Land reagieren, die Boos bei ihren Recherchen in Japan begegnen. Menschen, wie die mutige Ak- tivistin Ikuo Sugimoto, die 1992 die Umweltorganisation Kankyo-Shimin, »Umwelt und Bürger in Kyoto«, gründete. Schon zwei Tage nach dem Beben gibt ihre Umweltorganisation über Webseite und Twitter Verhaltenstipps. »Esst jodhaltige Algen.« Und: »Geben Sie keine ungesicherten Informationen weiter!«


»Der Rat der Umweltorganisation war nützlich, weil Schilddrüsen, die mit sauberem Jod gesättigt sind, keine Radioaktivität mehr aufnehmen«, so Boos. In den Tagen kurz nach dem Unglück habe niemand gewusst, ob die Behörden in der Umgebung von Fukushima tatsächlich Jod- Tabletten verteilt hätten, wie das eigentlich in jedem industriali- sierten Land für solche Fälle vor- gesehen ist. »Die Behörden verteilten kein Jod, doch das kam erst viel später heraus«, so Boos.


In der Stadt Minami-Soma mit ursprünglich rund 71 000-Einwohnern trifft sie Bürgermeister Katsunobu Sakurai, der sich am 26. März 2011 mit einem Video auf Youtube und der Botschaft »Wir sind vollkommen alleingelassen« an die Welt wandte und um Hilfe bat. Die Beseitung der Dekontaminierung bezahle derzeit die Gemeindeverwaltung, so der Bürgermeister im Gespräch mit Boos. Irgendwann müsse Tepco, »das Monster«, die Kosten übernehmen. Fast monatlich kommen tausend bis zweitausend Menschen zurück. Minami-Soma habe im- merhin wieder 40000 Einwohner, 30000 lebten noch woanders. Die Schule sei seit März geschlossen. Er wisse nicht, ob sie jemals wieder öffne, wahrscheinlich eher nicht. »Tepco zeigt ihr Gesicht nicht«, so der Bürgermeister zu Boos. »Sie waren noch nie hier.«

 

»Die Gespräche mit den Evakuierten gingen mir persönlich nahe, insbesondere ein Gespräch mit einem Ehepaar, das in der Sperrzone einen Bauernhof be- trieben hatte«, erzählt Boos. »Sie mussten ihre Kühe zurücklassen. Sie entschieden sich, die Tiere nicht frei zu lassen. Als der Bauer nach zehn Tagen Zwangsevakuierung zurückkehren durfte, war die Hälfte der Kühe verhungert und verdurstet, die andere Hälf- te lag im Sterben – und er konnte nichts dagegen unternehmen.«


Die Lektüre von Boos Reportage macht nachdenklich und betroffen. »Dieser Krieg ist weder laut noch blutig«, so Boos – »er ist wie ein böser Geist, der unhörbar, unsichtbar ganze Landstriche annektiert, Menschen vertreibt und sie nicht mehr wiederkehren lässt.« Wenn man sichergehen wolle, dass nichts Vergleichbares mehr passiere, müsse man die Anlagen abschalten, sagt die Journalistin. »Vor allem sollten wir uns überlegen, wie wir künftig mit Ressourcen umgehen, denn wir haben grundsätzlich ein Ressourcenproblem nicht nur ein Atomenergieproblem.« Hanna Spengler


BUCHTIPP:

Susan Boos, »Fukushima lässt grüßen. Die Folgen eines Super-Gaus«, Rotpunktverlag, Zürich 2012, 272 Seiten.

 


Bild: DAV
Bild: DAV

Abenteuerspielplatz Alpen

Publikumswirksame Attraktionen in den Allgäuer Alpen stoßen bei Umweltschützern und Einheimischen auf Widerstand

 

Von Hanna Spengler (epd)

 

Sie heißen "Skywalk", "Flying Fox" oder "Alpine Coasters". Alpine Tourismusattraktionen sorgen im Allgäu für Zündstoff. Während der Trend von der Fremdenverkehrs-Branche als Besuchermagnet beworben wird, äußern Umweltschützer und Einheimische harsche Kritik an dem "Bergzirkus". "Fahrgeschäfte haben in der freien Natur nichts zu suchen", sagt Steffen Reich vom Deutschen Alpenverein (DAV). "Wir lehnen Plattformen und Hängebrücken auf noch unverbauten Bergen ab."

Doch genau solche touristischen Prestigeprojekte sind im Ostallgäu auf dem 1.574 Meter hohen Nesselwanger Hausberg, der Alpspitze, geplant. Dort soll nach Angaben des DAV eine Aussichtsplattform mit einer 80 Meter langen Hängebrücke zum westlichen Nebengipfel gebaut werden. Ein sogenannter "Flying Fox", eine Seilrutschbahn, soll von der etwa 100 Höhenmeter tiefer gelegenen Bergstation der Seilbahn zur Mittelstation führen und für Nervenkitzel sorgen. Bisher ist der Alpspitzgipfel weitgehend unerschlossen. Lediglich ein Wanderweg führt von der Bergstation der Seilbahn hinauf.

Von Österreich über die Schweiz bis hin zu den bayerischen Alpen ist im Sommertourismus ein Trend zu immer spektakuläreren Attraktionen zu beobachten. In Garmisch-Partenkirchen wurde erst im Juli dieses Jahres rund 50 Meter oberhalb der Bergstation der dortigen Alpspitze die Aussichtsplattform "AlpspiX" eröffnet. In Scheidegg im Oberallgäu verspricht der "Skywalk Allgäu", ein 540 Meter langer barrierefreier Baumwipfelpfad in 30 Metern Höhe, "Naturerlebnis auf hohen Wegen".

Reich spricht von einem "Aufrüstungswettkampf". "Es geht darum, wer hat die längste Hängebrücke, wer den längsten Flying Fox." Der Flying Fox sei für viele Touristen jedoch ein "einmaliges, schnell abgenutztes, austauschbares Vergnügen". Die Fahrgeschäfte hätten mit dem bestehenden Naturraum nicht viel zu tun, kritisiert Reich. Einheimische warnen gar vor einem "Ausverkauf der Berge".

Der Nesselwanger Bürgermeister Franz Erhart (CSU) weist die Vorwürfe des DAV als haltlos zurück. Die geplanten Bauvorhaben auf der Alpspitze seien lediglich ein "visionäres Konzept", das mit dem ausdrücklichen Zusatz "naturverträglich" in Auftrag gegeben wurde. Erhart sieht in den neuen Attraktionen eine Chance für den Ferienort Nesselwang. Alleine mit einer schönen Aussicht sei der Gast nicht zufrieden..

Beim Bund Naturschutz (BN) sieht man den Trend zu Seilrutschbahnen, Hängebrücken und Plattformen als "Schritt in die falsche Richtung". Thomas Frey, BN-Regionalreferent für Schwaben, spricht im Nesselwanger Fall von einer "Möblierung der Alpspitze". Die Landschaft werde durch derartige Baumaßnahmen "nur als Kulisse für ein Event" genutzt". "Diese Erschließungen fördern keinen naturverträglichen Tourismus." Wie Frey betont, belegen zahlreiche Studien, dass die Schönheit, die Naturnähe und die Unverfälschtheit der Landschaft die wichtigsten Motive für einen Urlaub in der Alpen-Region seien.

Dass Einheimische sich erfolgreich in Planungsprozesse einklinken können, hat ein Bürgerentscheid Ende November in der Gemeinde Halblech (Ostallgäu) gezeigt. Dort stimmten bei einer hohen Wahlbeteiligung von 62,79 Prozent zwei Drittel gegen die Ganzjahres-Rodelbahn "Alpine-Coaster" und mehr als die Hälfte gegen ein Bergerlebniszentrum und gegen einen Waldseilgarten auf dem Buchenberg bei Buching. Im Vorfeld hatte die Interessengemeinschaft Buchenberg (IG) gegen den 2,6 Kilometer langen "Alpine Coaster" mobil gemacht und 880 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt.

Wie Herbert Ott von der IG-Buchenberg betont, sei man nicht generell gegen neue Ansätze im Tourismus. Die Realisierung des Alpine-Coasters auf bis zu fünf Meter hohen Stelzen hätte jedoch das Landschaftsbild des Hausbergs massiv verändert, den Lebensraum der Wildtiere gefährdet, Massen- und Tagestourismus auf Kosten der Natur nach sich gezogen und das Naturerlebnis der Wanderer gestört.

"Sanfter Tourismus sieht anders aus", sagt Herbert Ott von der IG-Buchenberg. Ein Alpine-Coaster sei nichts anderes als eine Achterbahn in den Bergen - "Gekreische inklusive." Gegen einen Vergnügungspark sei generell nichts einzuwenden, so Ott. Es sei jedoch nicht vermittelbar, warum ein solcher Rummel nicht im städtischen Raum oder in einem Gebiet mit Autobahnanbindung errichtet werde, sondern in einem bestehenden "Naturerlebnispark". (2313)

(Artikel vom 17.12.2010)
Lieben und planen "Green Weddings": Die Münchner Hochzeitsplanerinnen F. John und K. Wiesener
Lieben und planen "Green Weddings": Die Münchner Hochzeitsplanerinnen F. John und K. Wiesener

Ganz in grün

 

Mit "grünen Hochzeiten" setzen junge Paare auf umweltbewussten Konsum und Nachhaltigkeit

 

von Hanna Spengler (epd)

 

"Ja, ich will. Aber bitte ökologisch korrekt." - Vielen jungen Paaren ist es wichtig, auch bei ihrer Hochzeitsfeier auf Umweltschutz zu achten. "Green Wedding" heißt das Konzept und stammt aus den USA. Ob Brautkleider aus fair gehandelter ökologischer Seide, pestizidfreie Blumen der Saison oder Festmenüs aus regionalen Bio-Lebensmitteln: "Auch in Deutschland legen Brautpaare bei den Vorbereitungen zu ihrer Trauung verstärkt Wert auf Nachhaltigkeit", sagt Kerrin Wiesener, die sich in München als Hochzeitsplanerin auf "grüne Hochzeiten" spezialisiert hat.

Dabei gehe es aber nicht um "Müslitorte, Jutekleid oder eine Braut, die auf Birkenstocksandalen zum Altar schlappt". Ziel sei der bewusste Umgang mit Ressourcen und die Reduzierung von CO2. Recyclingpapier bei den Einladungen, beschriebene Steine als Tischkarten oder eine Schiefertafel anstatt der Menükarten: "Jede grüne Entscheidung macht schon etwas aus", sagt Wiesener.

Ihre Kunden seien meist über 30 Jahre alt, kämen aus dem urbanen Umfeld und pflegten eine umweltbewusste und individuelle Lebensart. Soziologen und Trendforscher haben für diese Klientel schon vor Jahren den Begriff "Lohas" (Lifestyles of Health and Sustainability) geprägt, worunter sie eine Ausrichtung des Lebensstils auf Nachhaltigkeit und Gesundheit verstehen.

Auch Adi Pietsch (39) und Myong Oh (30) aus dem Frankfurter Stadtteil Bornheim haben sich für eine "Green Wedding" entschieden. Diesen Sommer wollen sie mit rund 30 Gästen in einem großen Garten im Elsass heiraten. "Statt Einladungskarten haben wir eine eigene Webseite gestaltet, über die wir unsere Gäste miteinander vernetzen und zu Mitfahrgemeinschaften motivieren wollen", sagt Pietsch. Das Catering werde von einem lokal ansässigen Biobauern übernommen. Auch im Alltag verzichtet das Paar auf ein Auto, nutzt Car-Sharing-Angebote und isst Bio-Fleisch. "Wir heiraten grün aus Überzeugung, es passt zu uns und unserer Lebensweise", sagt Myong Oh.

Kurze Wege seien empfehlenswert, empfiehlt Hochzeitsplanerin Friederike John, die mit Kerrin Wiesener zusammenarbeitet: Zeremonie, Fest und Übernachtung sollten an einem Ort stattfinden. Grüne Hochzeiten seien darum nicht zwangsläufig idyllische Landhochzeiten, "womöglich auf der Wiese mit Heizpilzen, wohin Hochzeitgesellschaft, Essen, Öfen, Geschirr, Stühle und Partyzelt transportiert werden müssen." Viel umwelftfreundlicher: Feste im Stadtzentrum, zu denen die Gäste mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fahrrad anreisen können.

"Grün ist das neue Weiß", formuliert auch die Münchner Autorin Bettina Pyczak, die einen Ratgeber mit 100 Vorschlägen für umweltfreundliche Hochzeiten herausgegeben hat. Unter www.emas-register.de seien etwa für die Feier Hotels zu finden, die Umweltmanagement groß schreiben.

Pyczak empfiehlt außerdem Trauringe aus altem Erbschmuck oder Fair-Trade-Gold. Für die Blumendekoration setzt sie auf saisonale Freiland-Schnittblumen von regionalen Gärtnern und Pflanzen mit dem FLP-Label, das für Umwelt-und Sozialsstandards steht.

Auch Katrin und Ralph Leßmeister aus Bamberg haben im vergangenen Sommer eine "grüne Hochzeit" gefeiert. "Den Tischschmuck habe ich selber gebastelt, meine Handtasche und meine Schuhe gebraucht bei eBay ersteigert", sagt Katrin Leßmeister, 31 Jahre. Ein Hochzeitsauto gab es nicht, dafür einen Spaziergang im Park.

"Status und Prestige werden heute anders definiert als noch vor 50 Jahren", sagt Andreas Steinle, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts im hessischen Kelkheim. Es gehe nicht mehr darum, "Reichtum in Form einer Steigerungslogik" zu demonstrieren. Statt der opulenten Heirat im Schloss bevorzugten Paare eher intime Orte, wie einen schönen Garten oder einen Hinterhof.

Aber der Spaß darf auch bei einer umweltbewussten Hochzeit nicht verloren gehen, warnt John: "Wir sind ja nicht die Hochzeitspolizei." Keiner solle auf eine Band verzichten, um Strom zu sparen, oder sich schlecht fühlen, "nur weil er die 20 Meter von der Kirche zum Gasthof mit dem Oldtimer fahren möchte".

Ökologisch verantwortlicher Konsum im Kleinen würde oft vorschnell als lächerlich abgetan, sagt Peter Parwan, der seit 2006 die Internetplattform www.lohas.de betreibt. "Schnell heißt es, das machen doch nur die Gutbetuchten, um ihr schlechtes Gewissen zur beruhigen". Doch immer mehr Menschen suchten nach neuen Werten, Entschleunigung, Nachhaltigkeit.

"Was eben noch als Konzept einer Subkultur begonnen hat, kann sich schnell zum Mainstream entwickeln", sagt Parwan. Bleibt abzuwarten, ob auch in Großbritannien Prinz William, dessen Vater Charles als Verfechter des ökologischen Landbaus gilt, am 29. April bei seiner Heirat mit Kate Middleton ökologische Akzente setzt. (0910/18.04.2011)

 

Internet: www.oekoportal.de; www.lohas.de; www.fairflowers.de; www.oeko-fair.de, www.hk-greenweddings.de

 

Buchhinweis: Bettina Pyczak: Grün heiraten! 100 Tipps für die umweltfreundliche Hochzeit. Perfect Day, München 2008